Cover
Titel
Platz da!. Genese und Materialität des öffentlichen Platzes in der mittelalterlichen Stadt


Herausgeber
Jäggi, Carola; Rumo, Andrea; Sommerer , Sabine
Reihe
Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittealters
Erschienen
Basel 2021: Schweizerischer Burgenverein
Anzahl Seiten
243 S.
von
Heinrich Speich

Ein Platz gehört in jede Stadt. Diese banale Aussage wird im vorliegenden Band aus verschiedenen Perspektiven hinterfragt und relativiert. Die Fragen, wieso ein Platz ein Platz ist, seine Entstehung, bauliche Ausgestaltung und seine Funktionen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft stehen im Mittelpunkt des Bandes. Anhand verschiedener Beispiele aus der Schweiz und den weiteren deutschsprachigen Gegenden (ergänzt um zwei Beispiele aus Ostmitteleuropa) werden diese Themenkomplexe von arrivierten Stadtarchäologinnen und -archäologen beleuchtet. In der Summe entsteht ein differenziertes Bild typologisch unterscheidbarer städtischer Freiräume, welche aus unterschiedlichsten Gründen geplant, angelegt, vergrössert, verlegt, in den städtischen Raum integriert oder auch (wieder) überbaut werden konnten. Die Fallstudien basieren vor allem auf jüngeren Grabungen, welche die bekannten schriftlichen Quellen ergänzen und Neuinterpretationen erlauben.

Den Auftakt dieses Tagungsbandes (Zürich, 2017) machen die Herausgeberinnen mit einer terminologischen und konzeptuellen Heranführung. Es gelingt ihnen dabei, die etablierten Fachmeinungen aus alter, mittelalterlicher und frühmoderner Geschichte einerseits und den zugehörigen archäologischen und kunsthistorischen Teildisziplinen zusammenzufassen und als Ausgangspunkte der übergeordneten kulturhistorischen Fragestellung für die Fallstudien festzulegen.

Die Beiträge zu Bern (Armand Baeriswyl), Basel (Christoph Matt), Fribourg (Gilles Bourgarel), Luzern (Fabian Küng), Neuchâtel (Jacques Bujard), St. Gallen (Martin Peter Schindler), Winterthur (Renata Windler), Zug (Anette JeanRichard) und Zürich (Dölf Wild) bilden einen Überblick über Plätze und «Freiräume», quasi als Bestandesübersicht der grösseren Schweizer Städte. Die als «Skizze» vorgestellten Thesen von Armand Baeriswyl zu Bern, hier zusammengestellt unter dem programmatischen Titel «Traue keinem Platz! Thesen zur Genese städtischer Freiflächen und Plätze im Mittelalter» (S. 33–45) machen die weitgehend bekannten Phänomene exemplarisch deutlich: 1. das Nicht-/ oder Später-Bebauen, 2. die Erweiterung von Gassenräumen durch gezielte Abbrüche, 3. Andere urbanistische Massnahmen und 4. Katastrophen. Aufschlussreicher, wenn auch weniger paradigmatisch, sind die Resultate zu den Neuenburger Landstädtchen Boudry, La Bonneville, Le Landeron und Valangin von Jacques Bujard (S. 74–83). Hier wird deutlich, dass die in den grösseren Städten fassbaren Gesetzmässigkeiten nicht zwingend sind, sondern je nach Topographie, wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Agenda ganz unterschiedlich sein können.

Die internationalen Beiträge behandeln Köln (Thomas Höltken), Lübeck (Lisa Renn), Nürnberg (Antoine Bassing-Kontopidis), Stendal (Manfred Böhme), Prag, Breslau, Krakau, Gleiwitz (Jerzy Piekalski) sowie Wien (Paul Mitchell). Dabei sticht der Beitrag zu Tulln an der Donau (Ute Scholz, S. 198–209) hervor: Nebst den üblichen archäologischen und siedlungsgenetischen Quellen wurden hier Stadt- und Architektursoziologie mit präzise aufgeschlüsselter Methodik eingesetzt, um zum Beispiel die Lage und Funktion von Zelten im innerstädtischen Marktbereich funktional einzuordnen oder auch zur Binnendifferenzierung der unbebauten Flächen. Die Resultate weisen über die Archäologie mittelalterlicher Städte hinaus und sind in den sozial- und wirtschaftshistorischen Bereichen von hohem Interesse.

Im Epilog fasst Matthias Untermann die Resultate thesenartig zusammen und betont, wie Plätze meist erst gegen Ende des Mittelalters Bedeutung erlangten. Märkte fanden oft ausserhalb der Städte oder an deren Peripherie statt. Genuin mittelalterliche Platzanlagen sind die Pfleghöfe oder Hofstätten von Adel und Klöstern. Die Trias von Rathaus, Kirche und Platz ist ein späteres Phänomen. Untermann fasst die massgeblichen Prozesse der Platzgenese des späten Mittelalters noch einmal konzise zusammen: Innerstädtische Wüstungsprozesse, Brände, Leerstellen als «Wunden» im Stadtbild und die bewussten urbanistischen Eingriffe zur Raumgestaltung.

Der Band bietet einen exemplarischen Überblick der neueren Forschungen zur Archäologie städtischer Plätze im deutschsprachigen Raum. Spannend sind insbesondere diejenigen Beiträge, bei denen das Erkenntnisinteresse spürbar über die disziplinären Ränder hinausweist. Der Band darf als gelungener Auftakt zur Verbindung von Archäologie, Stadtgeschichte und Denkmalpflege im Hinblick auf die Neuere Städteforschung gelten. Eine ebenso breite und reflektierte Behandlung ist den Freiräumen der städtischen Kleinformen, den Flecken, Dörfern und Spezialfällen der Schweizer Siedlungsgeschichte ebenfalls zu wünschen.

Zitierweise:
Speich, Heinrich: Rezension zu: Jäggi, Carola; Rumo, Andrea; Sommerer , Sabine (Hg.): Platz da! Genese und Materialität des öffentlichen Platzes in der mittelalterlichen Stadt, Basel 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 73(2), 2023, S. 206-207. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00127>.

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